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Was ist eine Evidenzpyramide? Und wozu ist sie gut? Einleitungsbild und Text von Tanya Karrer, Gesundheitsredaktion.ch

Karrer T.
Was ist die Evidenzpyramide? Und wozu ist sie gut?
Gesundheitsredaktion.ch, 25. Mai 2024

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Was ist eine Evidenzpyramide? Und wozu ist sie gut?

Die Evidenz soll aufzeigen, wie verlässlich ein Medikament, eine medizinische Therapie oder eine Behandlung ist. Ganz so einfach ist das mit der Evidenz aber nicht. Die Evidenzpyramide ist ein praktisches Hilfsmittel, um die Aussagekraft von medizinischen Studien einzuschätzen.

Tanya Karrer ist Autorin und Informationsspezialistin Medizin und schreibt über Gesundheit, Medizin, Menschen und Organisationen.
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Ist die Therapie wirksam oder ist sie es nicht? Und wer und was bestimmt eigentlich, ob sie es ist? Die Evidenz ist ein Mass dafür. Nehmen wir als Beispiel die Erkrankung an Brustkrebs. Je nach Art, Grösse und Streuung des Tumors stehen verschiedene Therapien - einzeln und kombiniert - zur Behandlung zur Verfügung. Chirurgie, Bestrahlung, Chemotherapie, Immuntherapie, Hormontherapie und anderes. Nur schon die Brustchirurgie kann auf verschiedenste Weisen erfolgen, brusterhaltend oder als Mastektomie. Für beide wiederum gibt es verschiedene Techniken, die der Operateur anwenden kann. Ähnliches gilt für die Chemotherapie. Es gibt verschiedene Wirkstoffe. Wie wählt man nun die beste Therapie aus?

Evidenz: Beweise für eine Wirksamkeit?

Auf Deutsch ist der Begriff Evidenz etwas verwirrend, denn er hat weniger mit der Offensichtlichkeit als dem Beweis (englisch: Evidence) zu tun. Die Evidenz steht für die vorhandenen Beweise, die für oder gegen eine Therapie sprechen. Zum einen gibt es die wissenschaftlichen Beweise, die auf Studien beruhen. Aber auch die Erfahrungen der behandelnden Ärzte spielen für die Evidenz eine Rolle. Er oder sie hat womöglich gute Erfahrungen mit einem bestimmten Behandlungsansatz gemacht, ohne dass dazu bereits Studien durchgeführt wurden. Der dritte Faktor der evidenzbasierten Medizin ist der Patient, die Patientin. Auch ihre Haltungen, Wertvorstellungen und Erfahrungen sind von Bedeutung. Wenn sie von einer Misteltherapie überzeugt sind, kann diese vielleicht helfen, obschon es keine belastbare wissenschaftiche Evidenz für ihre Wirksamkeit gibt. Wissenschaftliche Beweise, die Erfahrung des Arztes oder der Ärztin sowie die Werte der Patienten bilden die drei zentralen Bereiche der Evidenzbasierten Medizin (EBM). In einer Zeit von steigenden Gesundheitskosten fliesst aber auch der wirtschaftliche Aspekt zunehmend in die EBM ein. Und ich vermute, auch die Personalisierte Medizin, gestützt auf indivuelle genetische Daten des Patienten, wird in Zukunft wichtiger für die Evidenzbasierte Medizin.

 

Schema der Evidenzbasierten Medizin © Tanya Karrer, 2024

Evidenzpyramide: Qualität von Studientypen

Kommen wir nun aber zur Evidenzpyramide. Sie fokussiert auf die wissenschaftliche Evidenz. Einfach ausgedrückt, geht es um das Aufsummieren von Resultaten. Gibt es viele Resultate aus qualitativ hochstehenden Studien, führt das im Grundsatz zu einer verlässlicheren, besseren Evidenz (Beweislage). Eine Tierstudie oder ein einzelner Erfahrungsbericht ist dabei meist von geringerer Qualität als eine grossangelegte klinische Studie, die versuchte, möglichst viele ungewollte Einflüsse zu vermeiden. Weshalb ist das so? Nun, Resultate, die bei Tieren erzielt wurden, sind nicht direkt auf den Menschen übertragbar. Berichte, die von einzelnen Erfolgen (oder Misserfolgen) bei bestimmten Behandlungen erzählen, sind durchaus wichtig, um weitere Forschung anzustossen. Aber diese einzelnen Erfolge können eben auch durch andere Einflüsse als die rapportierte Behandlung hervorgerufen worden sein. Bei klinischen Studien geht es - wie gesagt - darum, diese Störfaktoren möglichst zu vermeiden. Die Evidenzpyramide ordnet verschiedene Typen wissenschaftlicher Evidenz nach ihrem Qualitätsgrad.

Vereinfachte Evidenzpyramide der verschiedenen Studientypen © Tanya Karrer 2024

Studiendesigns mit hoher Evidenz

In randomisierten kontrollierten Studien wird die zu untersuchende Population, also meist Patienten, nach dem Zufallsprinzip Behandlungs-Gruppen zugeordnet (Randomisierung). Die eine Gruppe erhält Therapie A, die andere B (oder keine Therapie). Mit der Zufallsanordnung werden Verzerrungen, die das Studienresultat beeinflussen könnten, vermindert. Also, dass beispielsweise Brustkrebspatientinnen unbewusst aufgrund ihrer Sprache oder Hautfarbe oder anderen Merkmalen vermehrt einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden. Kontrolliert bedeutet, dass die beiden Gruppen unter den möglichst gleichen Bedingungen behandelt werden. Sie erhalten also zum Beispiel dieselben begleitenden Therapien. Auch damit sollen ungewollte Einflüsse auf das Resultat herausgefiltert werden. Ist die Studie noch doppelblind, dann wissen weder die Patientin noch die Ärzte, zu welcher Gruppe die Patientin gehört. Auch so werden noch einmal Verzerrungen (englisch: Bias) vermieden. Randomisierte, kontrollierte Studien gelten als Studien mit hoher Evidenz.

Schema einer randomisierten kontrollierten Studie © Tanya Karrer 2024
Eine Lizenz für diese Grafik kann auf Adobe Stock erworben werden.

Zusammenfassen von medizinischen Beweisen: Evidenzsynthese

Werden mehrere Studien zur selben Therapie oder Behandlung ausgewertet und zusammengefasst, nennt man dies Evidenzsynthese. Die bekannteste Form der Evidenzsynthese ist die systematische Übersichtsarbeit (englisch: systematic review). Die Kunst besteht darin, zuerst alle möglichen Studien zu einer bestimmten Therapie zu finden und vergleichbare Daten daraus zu sammeln. Um die Aussagekraft der Daten zu bestimmen, muss auch die Qualität der zugrundeliegenden Studien beurteilt werden. Oft kommen dabei statistische Verfahren zum Einsatz. Den resultierenden Studientyp nennt man dann Meta-Analyse. Die Meta-Analyse gilt als Studientyp mit der höchsten Evidenz.

Das komplexe Wesen Mensch

Die Evidenzstufe soll also dabei helfen, die Wirksamkeit einer Therapie (manchmal auch in Bezug auf ihre Kosten) einzuschätzen und die Patientensicherheit zu gewährleisten. Nicht selten kommt es aber vor, dass sich die Resultate in klinischen Studien widersprechen oder uneinheitlich sind, sodass keine allgemeingültigen Aussagen gemacht werden können. Dann braucht es mehr Forschung. Die Personalisierte Medizin, die auf Genanalysen von Patienten beruht, und entsprechend individuelle Behandlungsansätze anstrebt, könnte  dieses Prinzip der Evidenz und ihrer Synthese zudem verändern. Denn auch in gut gemachten klinischen Studien erreicht die Intervention selten alle Probanden (100%) der jeweiligen Gruppe. Die Resultate geben deshalb vor allem eine Tendenz vor. Am Schluss bleibt der Mensch ein einzigartiges wie komplexes Wesen -  mit vielen Rätseln, die es noch zu lösen gilt.

 

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